Auf Gott alleine vertrauen

Predigt

Predigt von Generalsekretärin Kristin Jahn am 15. September in der Landeskirche Hannovers.

Bewahre mich, Gott, denn ich traue allein auf Dich.

Letzte Woche habe ich einen Kollegen in Thüringen wieder getroffen und wir haben uns unterhalten über die Situation im Land.

Er hat vor den Landtagswahlen – ein Banner ans Pfarrhaus gehängt: Herz statt Hetze. Und er hat dafür viel Unverständnis geerntet, im Ort, aber auch in der eigenen Kirchengemeinde.

Die älteren Gemeindemitglieder haben ihn ermutigt. Ja, Herr Pfarrer, Sie müssen was sagen. Der Hass bringt uns nicht voran. Aber für viele andere war dieses Banner am Pfarrhaus zu viel.

Fassungslos stand er da. Fassungslos habe ich ihm zugehört.

Weißt du, meinte er, da singen wir beim Familiengottesdienst mit den Kindern und Eltern „Der Himmel geht über allen auf“ und dann gehen dieselben Eltern hin und wählen eine Partei, die für Ausgrenzung steht und Remigration.

Die politische Lage im Land, nicht nur in Thüringen.

Bewahre mich, Gott, denn ich traue allein auf Dich.

 

II 

Es liegt eine Schwere überm Land. Dicht wie Herbstnebel.  

 

Viele fragen sich, wie es weitergeht – angesichts der Wahlen in Sachsen und Thüringen. Angesichts des öffentlichen Streits in der Regierungskoalition. Angesichts der Nachrichten aus der Wirtschaft.  

Wie weiter, fragen sich die Menschen, die ihre Arbeit haben bei VW?  

 

Wie weiter in einer Welt, die sich so rasant verändert? Die Sorge liegt im Land, aber unser Glaube eben auch.  

 

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, er braucht auch eine Zukunftserzählung.  

 

Bewahre mich, Gott, denn ich traue allein auf Dich.  

Psalm 16, ein Hammerstück. Passend für unsere Zeit.  

 

Hier schmiedet einer den Bund mit dem Himmel. Schwerter zu Pflugscharen. 

 

Hier streckt sich einer aus nach dem Licht. Nach Güte, die uns nicht trennt.  

Hier setzt sich einer ab von dem Meckern und Schimpfen seiner Nation. Von dem Wahn, ein Mensch könnte Heiland sein für ihn und die ganze Nation.   

 

Du bist ja der Herr. Ich weiß von keinem Gut außer dir. An den Heiligen, die auf Erden sind, an den Herrlichen hab ich mein Gefallen. Aber jene, die einem anderen nachlaufen, werden viel Herzeleid haben.  

Z.B. in Thüringen.

 

III 

Wie politisch ist Kirchentag eigentlich noch? Hat mich kürzlich eine Journalistin gefragt. Hat er überhaupt noch was zu sagen?

Was meinen Sie mit politisch? Fragte ich zurück.

Für mich ist es in dieser Zeit politisch, nicht mit zu schimpfen, wenn alles schimpft.

Es ist politisch, die Probleme dieses Landes in den Blick zu nehmen und dann Lösungen mit zu suchen, anstatt noch mehr Probleme zu nennen.

 

Es ist politisch zu beten und zu danken und den Blick auf etwas zu richten, das uns alle annehmen kann in Schuld und Unschuld, uns ausrichtet, aufrichtet zum Guten.

Es ist politisch in dieser Zeit nicht mitzuschwimmen im Fluss, der da heißt Tristesse und Resignation.

 

Kirchentag ist sehr politisch, nicht parteipolitisch, aber politisch, weil er beim Jammern und Schimpfen nicht mitmacht, sondern nach dem Möglichen fragt und im besten Falle Leute vernetzt, die dann aufbrechen und das Beste wagen. Das, was noch keiner kennt.

Aufbrechen in Hoffnung, weil die Zukunft ist kein Zement. Nichts was feststeht, sondern etwas, dessen Mitverfasser wir sind.

 

Kirchentag ist extrem politisch. Er wagt es zu singen und zu loben, zu beten und zu bitten um das Gute. Er traut dem Nächsten noch was Besseres zu.

Er wagt es, mitten in der zerstrittenen Gesellschaft das Gemeinsame zu suchen. Er macht nicht mit bei diesem ganzen „Wir gegen die“,

„hier die Guten, da die Bösen“.

 

1949 wurde der Kirchentag gegründet (hier) in Hannover. In einer Zeit, in der sich die Täter und die Opfer des Nationalsozialismus auf helllichter Straße wieder begegnet sind.

Wie weiter mit uns? In diesem Land? Das haben sich die Gründer um Reinold von Thadden-Trieglaff gefragt. Wir müssen reden über die Schuld. Wir müssen es besser machen, haben sie sich gesagt und den Kirchentag begründet. Als Labor für Mündigkeit und Engagement. Für die Suche nach dem Guten.

Im gleichen Jahr wurde auch das Grundgesetz verfasst. Das Evangelium und das Grundgesetz haben eine fundamentale Einsicht gemeinsam: Das Feindbild ist abgeschafft.

Beides – Evangelium und Grundgesetz – eint die Erkenntnis: Es gibt kein „Wir gegen Die“ – es geht eben nur gemeinsam. Mit Respekt füreinander, auch für den politischen Gegner und im Bewusstsein um unsere Verantwortung. Vor Gott und den Menschen.

 

IV 

An den Heiligen, die auf Erden sind, hab ich all mein Gefallen. Aber jene, die einem andern nachlaufen, werden viel Herzeleid haben.

Ich will das Blut ihrer Trankopfer nicht opfern, noch ihren Namen in meinem Munde führen.

Ihr Lieben, dieser Psalm spricht mir aus der Seele. Ich will nicht mitschimpfen, wenn alles schimpft.

Ich will nicht mitmachen beim großen Verurteilen. Wir gegen Die. Beim schnitzen der Feindbilder rechts gegen links.

Ich will nicht singen, wenn alles singt: l‘amour toujour.

Ich will nicht schreien, wenn alles schreit: Ausländer raus. Ich will nicht hassen, wenn einer sich selber hasst und seinen Nächsten, den Fremden, auch. 

Ich will nicht einstimmen in das Lied der Welt, die Angst vor der Offenheit hat. Ich will mich festhalten an diesem Gott, dessen Himmel über allen aufgeht.

Ein Gott, der uns alle in Vielfalt erschuf.

Ich will das Blut ihrer Trankopfer nicht trinken. Ich will Ausschau halten nach dem Guten und fragen, was ich selbst machen kann, damit es besser wird unter uns.

 

Mein Kollege in Thüringen hat sich nach all den Debatten um das Banner am Pfarrhaus gefragt, was kann ich überhaupt noch sagen?

Er hat sich in seinem ersten Gottesdienst nach den Wahlen an der Bibel festgehalten.

Er hat sich und seinen Gemeindemitgliedern einfach nur vorgelesen von diesem Gott, sich selbst und uns erinnert: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist.

Vom Freudenboten hat er vorgelesen, dessen Füße mit sanften Schritten zum Volk kommen. Von der Brüderlichkeit, die Gott gefällt und die nicht rumtrampelt auf den Schwachen:

Ein jeder erweise seinem Bruder Güte und Barmherzigkeit, und tut nicht Unrecht den Witwen, Waisen, Fremdlingen und Armen und es denke keiner gegen seinen Bruder etwas Arges in seinem Herzen.

Und damit war alles gesagt.

 

Herz statt Hetze. Über das Banner habe ich noch lange nachgedacht.

Da schwinge die Unterstellung mit, dass ich hetze, hat mir jemand gesagt. Hm. Stimmt, denke ich. Und vielleicht war das Banner als Statement gut gemeint, aber hat die Fronten verhärtet.

Wie bleiben wir zusammen in diesem Land?

 

Vielleicht ist die Zeit der Banner vorbei. Vielleicht hilft uns nur noch das Gespräch - am Küchentisch, im Freundeskreis, in der Verwandtschaft, wenn der Hass unter uns entbrennt.

Den Mut haben zum Gespräch. Zuhören heißt nicht zustimmen.

Mutig und beherzt dem anderen die eigene Hoffnung hinhalten und sagen: Du, Ich sehe das anders. Das kostet Kraft, eine Kraft, um die ich Gott tagtäglich bitte.

Ich will leben ohne Feindbild und das Beste suchen, ohne den politischen Gegner als Feind zu sehen, denn das hieße von dem Gift zu trinken, was Björn und Sarah versprühen.

Herz statt Hetze, gilt auch für mich. Dazu gebe Gott mir die Kraft.

 

So Gott will, werden wir nächstes Jahr beim Kirchentag feiern, beten, loben und streiten ohne einander die Würde des Daseins abzusprechen.

Wir grenzen einander nicht aus, aber wir grenzen uns ab von Plattitüden, Resignation und Hass.

Wir suchen das Gute, wohlwissend, dass die Dinge kompliziert sind und bleiben auch im Streit beherzt, einander zugewandt, denn die Würde eines jeden gilt. Unantastbar.

So zu feiern, das wäre ein politisches Statement in diesem Land.

Vielleicht ahnen wir dann, was gemeint sein kann mit den Worten aus diesem alten Psalm: Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land und wir alle ein Teil davon. So sei es, ihr Lieben. Uelzen, Hannover, Herrenhaus.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir begreifen und verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus, unserem Herrn.

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