Friede sei mit dir
Predigt
Predigt von Generalsekretärin Kristin Jahn auf dem Greifswalder Kirchentag anlässlich des 75. Jubiläums des Kirchentages
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem
Herrn Jesus Christus.
I
Ein Text ist uns geschenkt, aus alter Zeit für die neue Zeit unter uns, hört
Worte des Propheten Micha aus dem 4. Kapitel:
In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist,
fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben. Und die
Völker werden herzulaufen,
und viele Heiden werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns hinauf
zum Berge des HERRN gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, dass
er uns lehre seine Wege und wir in seinem Pfaden wandeln! Denn von
Zion wird Weisung ausgehen und des HERRN Wort von Jerusalem.
Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in
fernen Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre
Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das
Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu
führen.
Ein jeder wird unter seinem Weinstock und Feigenbaum wohnen, und
niemand wird sie schrecken. Denn der Mund des HERRN Zebaoth hats
geredet: Friede sei mit Dir!
Herr, gib uns ein Wort für unser Herz und gib uns auch ein Herz für dein
Wort! Amen.
Ihr Lieben,
Frieden ist mehr, als dass die Waffen schweigen oder unbrauchbar im
Straßengraben liegen sind. Frieden ist mehr als die Abwesenheit von
Krieg.
Ich bin aufgewachsen in einem Land, das keine Bombe getroffen hat und
in dem auf Krankenwagen – wie jener hier auf dem Marktplatz - nicht
geschossen wurde.
Ich bin aufgewachsen in der DDR. Ihr vielleicht auch. In einem Land, in
dem nicht von jetzt auf nachher Häuser durch Raketenbeschuss
zerbarsten oder gar Menschen wie in Butscha zerfetzt auf der Straße
lagen.
Ich bin aufgewachsen in einem Staat, der auf jedes Banner in großen
Buchstaben: Für Frieden, Freiheit und Sozialismus geschrieben hat –
und es war doch kein Frieden in diesem Land.
Es war ein kalter Frieden in diesem Land, Worte waren scharf wie
Waffen, ein Beäugen und Belauern aller an allen Orten.
Ein Stillhalteabkommen für den Frieden. Stillhalten in jedweder Art.
Ein Stillhalten in der Schule, dass man bloß kein falsches Wort sagt. Ein
Stillhalten der Regierung angesichts des Kalten Krieges und der
Wettrüstung.
Ein Stillhalten so vieler Menschen in einem totalitären System. Weil jeder
Aufruhr, jedes Widerwort unabsehbare Folgen hatte in dieser Diktatur.
Frieden ist mehr, als dass die Waffen schweigen und Frieden ohne
Freiheit ist nichts wert. Das habe ich in der DDR gelernt.
Schwerter zu Pflugscharen.
Als Friedrich Schorlemmer am 24. September 1983 während eines
Kirchentages auf dem Hof des Wittenberger Predigerseminars von
Stefan Nau ein Schwert zur Pflugschar umschmieden ließ, war das ein
Fanal. Ein Fanal an die Regierung in diesem totalitären Staat.
Es war ein Fanal gegen das Wettrüsten und Aufrüsten, ein Akt des
Widerstands gegen einen Staat, der Frieden zwar überall draufschrieb,
aber keinem die Freiheit zugestand, anders zu denken und zu leben.
II
Erich Kästner hat 1933 sinngemäß gesagt: Der Mensch hat so vieles
schon geschafft, er vermag Wolkenkratzer zu bauen und Flugzeuge –
aber eines hat er immer noch nicht geschafft, im Frieden zu leben.
Frieden zu wagen anstatt Krieg.
Krieg ist ein Wort aus dem althochdeutschen (chreg) und meint:
Hartnäckigkeit, Anstrengung, Streit und Kampf. Auseinandersetzung
zwischen Menschen mit Waffen.
Krieg hat viele Wurzeln. Bis hinein in mein Herz. Dünn und unsichtbar.
Wo ich mich über dich erhebe, da beginnt das hartnäckig sein, der Krieg,
die Rechthaberei. Da wird die Erde hart, auf der wir stehen.
In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist,
fest stehen, höher als alle Berge und über die Hügel erhaben.
Für oder gegen Waffenlieferung. Frieden schaffen mit oder ohne Waffen.
Unsere Gesellschaft ist in dieser Frage gerade heillos zerstritten. Die
Wahlen in Thüringen und Sachsen haben das sinnhaft gezeigt.
Manchmal streiten sich in der Frage nach dem Frieden sogar Christen so
sehr, dass sie die eigene Sichtweise absolut setzen und zur einzigen
Lösung für alle erklären. Glaubensbekenntnisse gibt es aber nur in der
ersten Person Singular. Glaube beginnt mit Ich und nicht damit, dass ich
meine Erkenntnis über Dich drüber stülpe. Mich erhebe über dich.
III
Micha sagt mit Blick auf sein Land, das heillos in der Frage zerstritten
war, was ist nun der richtige Weg – koalieren wir mit anderen Mächten
oder bleiben wir für uns? In dieser Situation sagt Micha:
Göttlicher Frieden ist ohne Gott nicht zu machen.
Kein Mensch wird Frieden finden, wenn er richtet über seinen Nächsten
und sich selbst an Gottes Stelle setzt.
Kein Mensch wird Frieden finden mit sich, mit seinem Weinstock, mit
seinem Feigenbaum, wenn ihn das Gottlose treibt.
Micha blickt auf eine andere Welt und er blickt anders auf diese Welt,
weil für ihn Gott das Allerhöchste ist.
Wenn Gott das Höchste ist und nicht ich selbst oder gar die von mir
gewählte Regierung.
Wenn Gott das Höchste ist, wenn ich erkenne, dass ich nur Staub bin
und wir eines Tages alle in derselben Erde liegen werden, dann weiß ich,
ich kann mich nicht über Dich erheben.
Ich habe kein Recht zu richten über dich, aber Gott, der hat es und
macht es, über dich und auch über mich.
Christian Führer hat bei den Montagsgebeten in der Leipziger
Nikolaikirche gewusst, hier sitzen auch die Stasioffiziere und hören mit.
Er hat sie nicht rausgeschickt. Offen für alle Menschen, aber nicht für
alles. Er hat auch ihnen von der Freiheit erzählt. Von dem Gott, der über
uns ist. So, auch so beginnt Frieden. Ohne Feindbild von meinem
Nächsten, aber immer mit einem Bild von Gott, der uns
zusammendenken kann trotz aller Schuld und allem Verrat.
IV
Ich bin in meiner Schulklasse eine von drei gewesen, die jeden Dienstag
zur Christenlehre gegangen ist, einmal über die Straße den Weg von der
Schule ins Pfarrhaus. Die Lehrer haben das genau gesehen,
festgehalten.
Auch einer, von dem hieß es, er sei ganz und gar rot. Nach 1989 wollte
er Religionslehrer werden.
Im Dorf war was los, “was bildet der sich ein. Erst die Kinder
drangsalieren und jetzt Religionslehrer werden”. „So ein Wendehals!“,
hieß es. Die Leute haben sich das Maul zerfetzt über ihn.
Ich habe damals auch gestaunt. Heute denk ich, wer weiß – vielleicht hat
er sich jedes Mal, wenn wir drei ins Pfarrhaus gestiefelt sind, danach
gesehnt mitzukommen?
Vielleicht wäre er sonntags auch gern in der Kirche gewesen und durfte
es nicht.
Und wer weiß, unter welchem Druck er gestanden hat, dass er nicht
wagte, sich zur Kirche zu bekennen.
Wer weiß, warum er so „rot“ war, so ganz und gar staatskonform. Wer
kann da richten? Wer das letzte Wort sagen? Wer kann bestimmen, von
Gott darfst du reden und du nicht?
Ihr Lieben,
Wenn auch nur eine Silbe wahr ist von dem, was Jesus lebte und sagt:
Selig sind, die Frieden stiften – wenn auch nur eine Silbe wahr ist vom
Zachäus, in dessen Haus Jesus einkehrt – ganz ehrlich, ihr Lieben, dann
ist der Himmel für alle offen und habe ich kein Recht zu sagen: du bist
okay und du nicht.
V
In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf des HERRN Haus ist,
fest stehen und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre
Spieße zu Sicheln machen – mag sein, wir leben noch nicht in dieser
letzten Zeit, aber das letzte ragt ins vorletzte hinein.
Gott ragt in meine vorletzte Zeit mit seiner ganzen Herrlichkeit hinein. Er
wird alles richten und wenden.
Und bis es so weit ist, kann ich hingehen und sagen: Hör mal, das
verstehe ich nicht, so und so habe ich das und das erlebt, aber wie war
das für Dich?
Frieden braucht Freiheit, auch die Freiheit nach zu fragen. Und ihr
Lieben, diese Freiheit zu reden, miteinander, statt übereinander, diese
Freiheit haben wir seit nunmehr 35 Jahren. Halleluja. Die Freiheit mit
Andersdenkenen zu sprechen.
Zu fragen: wie meinst du das?
Ganz ehrlich, das haben wir in den letzten 35 Jahren nicht gerade
flächendeckend gewagt und echt noch Nachholbedarf.
Es brodelt unter uns. Noch immer ist so vieles nicht benannt, aber
gerichtet und verurteilt wird oft.
Schwerter und Spieße in uns. Aber ich kann sie umschmieden und Gott
das letzte Wort überlassen und das vorletzte Wort wagen zwischen uns.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir erlebt haben,
sehen und verstehen, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus
Jesus, der gesagt hat. Friede sei mit Dir! Amen.