Demokratie am Gartenzaun

Sendereihe

Beitrag von Generalsekretärin Kristin Jahn zur Sendereihe #Demokratiesommer im rbb.

Drei Wochen lang (17. Juni bis 6. Juli 2024) sprechen in der Sendereihe #Demokratiesommer des Evangelische Rundfunkdienstes der Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und des Erzbistums Berlin prominente Stimmen aus Kirche, Religion und Gesellschaft täglich im rbb über ihre persönlichen Erfahrungen mit Demokratie, Gemeinschaft und darüber, wie Glaube dazu beitragen kann, sich für eine demokratische Gesellschaft zu engagieren. Dies ist der Beitrag von Kristin Jahn, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, ausgestrahlt am 20. Juni. Alle Beiträge gibt es hier zum Nachhören. 

„Ihr werdet schon sehen, was ihr von eurer Gutmütigkeit habt“, rief Günther mir letztens zu: „Du immer mit deiner Kirche!“ 

Ich kenne Günther schon von Kindesbeinen an. In der DDR hatte er einen guten Job, nach der Wende auch. Seinen Kindern geht’s gut, beide im Beruf, und doch meint Günther, es gehe in diesem Land alles den Bach runter. 

„Ihr werdet schon noch sehen, wohin das führt mit eurer Willkommenskultur, holt die Ausländer rein und die nehmen uns dann alles weg.“ 

„Wer hat Dir denn wann was weggenommen?“, habe ich Günther gefragt. Da war er kurz still. „Naja“, meinte er: „Mir persönlich jetzt nicht so, aber man sieht das doch überall im Fernsehen.“ 

„Weißt Du, ich finde es schwierig, wenn Du so etwas sagst, obwohl es Dir selber nicht passiert ist“, sage ich. 

Demokratie am Gartenzaun. Die Gespräche mit Günther sind für mich immer kräftezehrend. Nichts wonach ich mich sehne an einem Wochenende in Thüringen. Und vielleicht geht es Günther genauso. 

Es gibt viele, die sagen, Kristin, warum tust du dir das überhaupt noch an, das ist doch ein halber Nazi? 

Ja, warum? Aber was wäre die bessere Lösung? Ihn abschreiben, ignorieren, gar nicht mehr miteinander reden? Dann macht jeder sein Ding, soll das die Lösung sein? 

Zuhören heißt für mich nicht Zustimmen. Sondern auch Nachfragen: Wie meinst du das? Wo ist dir das denn passiert?  

Ich finde: Demokratie funktioniert nur im Gespräch. Einander abschreiben oder gar dämonisieren – das ist keine Lösung und es steht mir als Christin auch nicht zu. Vor Gott ist die Würde eines jeden unantastbar. 

Und gerade weil das so ist, rede ich weiter mit Günther und schreibe ihn nicht ab. Und bis Gott das letzte Wort spricht über ihn und über mich, solange leben wir hier und ringen miteinander und streiten und können es morgen noch besser machen als heute.  

Ich glaube, dass Worte etwas ändern können. Ich glaube, dass sich ein Mensch verändern kann, und dass ein Gespräch beide ändert. Und deshalb rede ich mit Günther. Deshalb frage ich nach: Wo hast du das erlebt? Wie meinst Du das, wer hat dir was weggenommen? Es ist meine Art, Mensch zu bleiben und die Mitmenschlichkeit keinen Zentimeter preiszugeben. 

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