Ansporn und Verpflichtung

Kanzelrede

In Wittenberg hat Kirchentagspräsident Thomas de Maiziére über die Zukunft der Staatskirchenverträge gesprochen.

Liebe Schwestern und Brüder,

„Wenn man Luther gefragt hätte: Brauchen wir Staatskirchenverträge? - So heißt es in einer Einladung zu diesem Sonntag mit einer Kanzelrede.

Ich finde solche Hätte-Fragen ziemlich sinnlos: Letztlich ist das oft nichts anderes als der Versuch, die eigene Meinung im Nachhinein mit der Autorität einer besonderen Person zu versehen. Und man kann eine solche Antwort auf eine Hätte-Frage nie verifizieren.

Aber lassen wir uns heute ausnahmsweise einmal darauf ein.

Dann wäre unsere spontane Antwort, so wie wir Martin Luther landläufig kennen, vielleicht:

Luther hätte gesagt: weg damit. Wir brauchen keine solchen Verträge. Wir wollen keine Abhängigkeit vom Staat schaffen oder vertiefen. Wir sollten beider Reiche schön getrennt lassen.

Verträge binden und schwächen die eigene Unabhängigkeit.

Aber Vorsicht. Ganz so einfach ist es nicht.

Wir können Martin Luther nicht befragen, aber wir können uns befragen.

Lassen Sie uns einmal genauer hinschauen:

Der erste Staatskirchenvertrag war das Wormser Konkordat von 1122, das den Investiturstreit, also deren Streit zwischen Papst und Kaiser über die Bischofsernennungen mit einem raffinierten Kompromiss löste: kirchliche Macht vom Papst, weltliche Macht vom Kaiser, Einvernehmen über die Person.

Im Mittelalter dann brauchte man keine Verträge: Staat und Kirche waren eine Einheit. Mit sich selbst konnte man keine Verträge schließen.

In den Zeiten danach waren die Kirchen dem Staat untergeordnet. Insofern waren Verträge zwischen beiden so etwas wie abgesprochene, aber einseitig änderbare Gesetze.

Und heute?

Heute sind Staatskirchenverträge echte Verträge zwischen zwei getrennten, in Augenhöhe stehenden und nicht untergeordneten Rechtssubjekten, wie wir Juristen sagen.

Was regeln diese Verträge?

Ich will das Ihnen am Beispiel des Staatskirchenvertrages zwischen Sachsen-Anhalt und den Evangelischen Kirchen, dem sog. Wittenberger Vertrag erläutern.

Das ist auch deswegen als Beispiel geeignet, weil in allen derartigen Verträgen der Bundesländer mit den Kirchen in etwa dasselbe drinsteht.

Es beginnt mit der Gewährleistung der Religionsfreiheit durch den Staat.

Dafür bräuchte man einen solchen Vertrag allerdings wirklich nicht. Denn diese Freiheit ergibt sich aus dem Grundgesetz und bedarf keiner erneuten vertraglichen Absicherung. Aber es klingt gut, einen solchen Vertrag damit zu beginnen.

Dann aber folgen viele Regelungen zu dem, was wir Juristen „res mixtae“ nennen, also gemischte Sachen, Angelegenheiten.

Ich nenne einige:

• Der Landeskirche wird die Eigenschaft einer Körperschaft des öffentlichen rechts verliehen.

• Die theologische Fakultät in Halle/Wittenberg wird garantiert. Die Kirchen erhalten Mitwirkungsrechte bei Prüfungsordnungen, Stellenplänen und Stellenbesetzungen.

• Der Religionsunterricht wird nicht nur garantiert, sondern die Kirchen bekommen für die Ausgestaltung eine Mitverantwortung.

• Gleiches gilt für kirchliche Schulen und eine besondere christliche Seelsorge in Gefängnissen und bei der Polizei.

• Diakonische Einrichtungen dürfen gegründet, betrieben werden und bekommen bestimmte Rechte.

• Die christlichen Feiertage werden garantiert.

• Die Kirchen bekommen Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

 

Es gibt auch Absprachen zu kirchlichem Vermögen.

Die Kirchen erhalten die Berechtigung, Kirchensteuern zu bezahlen. Und sie bekommen sog. Staatsleistungen.

Darauf komme ich gleich noch kurz gesondert zu sprechen.

Haben Sie das alles gewusst?

Nicht schlecht, oder?

Kein Wunder, dass Kritiker wie die Humanistische Union solche Verträge als Bevorzugung und Privilegierung der christlichen Kirchen ablehnen.

Allerdings lehnen sie solche Verträge nicht generell ab, sondern sie wollen ähnliche Verträge zu ihren Gunsten selbst abschließen. Dann allerdings müssten sie eine Religionsgemeinschaft sein, was sie gerade nicht sein wollen. Man kann aber nicht Kirche sein und gleichzeitig nicht sein wollen.

Spannender ist folgende Frage:

Macht es für die Frage der Akzeptanz solcher Staatskirchenverträge einen Unterschied, ob eine ganz große Mehrheit der Bevölkerung christlichen Kirchen angehört oder - wie bei uns in den ostdeutschen Bundesländern schon lange - nicht mehr?

Gibt es andere Formen der Beteiligung an und in Kirchen als nur die Mitgliedschaft?
Thomas de Maizière

Liebe Schwestern und Brüder,

unser Staat in Deutschland ist weltanschaulich neutral. Das ist wahr.

Aber wir haben keinen Laizismus wie in Frankreich. Unser Grundgesetz regelt, dass Staat und Kirchen unabhängig sind, aber - wie ich das formulieren möchte - einander freundlich zugeneigt.

Das ist nicht nur Ergebnis unserer Geschichte, sondern Teil unserer Kultur und unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Und das bleibt. Mindestens sollte es bleiben. Und wir Christen sollten viel dazu beitragen, dass das so bleibt…

Dieses Selbstverständnis als weltsnachaulich neutral, aber freundlich zugewandt, das hat Auswirkungen nicht für das staatliches Verhalten, sondern auch auf die Verantwortung der Kirchen.

Dir Kirchen sind nicht in erster Linie begünstigter Vertragspartner des Staates mit dem Recht, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln und im Übrigen dem Staat und der Politik ständig moralische Vorhaltungen zu machen.

Es gibt keine Selbstermächtigung der Kirchen für ein besonderes politisches Mandat mit dem Anspruch auf besonderes Gehör.

Kirchen bleiben Kirchen und religiöse Gemeinschaften mit dem Ziel der Verkündigung ihres, unseres Bekenntnisses. Das ist und bleibt der Kern.

Aber die „Gegenleistung“ für ihre besonderen, auch im europäischen Vergleich besonderen Rechte der Kirchen ist eine Mitverantwortung für ein gelingendes Ganzes, für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, für gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung, die selbst übernommen und nicht nur von anderen angemahnt wird.

Rechten stehen immer Pflichten gegenüber, selbst wenn sie nicht ausdrücklich so genannt werden.

Das nennen wir Juristen übrigens ein Synallagma.

Insofern stehen durch Staatskirchenverträge auch Kirchen in der Pflicht.

 

Nun ein Wort zu den sog. „Staatsleistungen“:

Das sind keine freiwilligen Gewährungen, keine Subventionen, obwohl sich das so anhört.

Sondern das sind Ausgleichszahlungen für Enteignungen der Kirchen während der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts. Aber diese Staatsleistungen sind keine Entschädigung für die damalige Eigentumsentziehung, - das wäre längst abbezahlt - ,sondern ein Ausgleich für die durch die Enteignungen fehlende Möglichkeit der Kirchen, ihre eigenen Kosten durch die wirtschaftliche Nutzung ihres Eigentums - große Teile in Form von landwirtschaftlichen Flächen – dauerhaft selbst zu decken.

Die Gesamtsumme dieser Leistungen in Deutschland beträgt übrigens rund 600 Mio Euro.

Im Art. 140 des Grundgesetzes ist ein Auftrag geregelt, diese Staatsleistungen „abzulösen“. Das bedeutet, allmählich zu beenden.

Dieser Auftrag ist seitdem nicht erledigt. Genau genommen gibt es diesen verfassungsmäßigen Auftrag schon seit 100 Jahren, denn schon die Weimarer Reichsverfassung hatte schon so formuliert. Das Grundgesetz hat das lediglich übernommen.

Die Bundesregierung möchte diese Ablösung jetzt angehen. Die Verhandlungen laufen. Die evangelischen Kirchen sind eher dafür. Die Bundesländer, die die Ablösesumme statt jetzt der laufenden Leistungen zahlen müssten, sind eher dagegen oder halten das nicht für dringlich.

Die Gegner einer Ablösung der Staatsleistungen sagen, das führe im Ergebnis zu weniger Geld für die Kirchen.

Die Befürworter entgegen, eine spätere Ablösung würde eher zu noch weniger Geld führen.

Die Fußballer kennen das: wenn man den Zeitpunkt verpasst, wird die Ablösesumme plötzlich geringer.

Ich habe jetzt nicht die Zeit, das Pro und Contra näher zu beleuchten. Ich berichte Ihnen das nur, weil Sie in den nächsten Monaten hören werden, wie die Sache in dieser Legislaturperiode ausgeht. Ich vermute, es wird kein Bundesgesetz zur Ablösung der Staatsleistungen kommen.

Viel wichtiger ist aber die Kirchensteuer. Hier liegen die Gesamteinnahmen aller christlichen Kirchen bei rund 13 Mrd. Euro!

Und jetzt komme ich auf die Eingangsfrage zurück: Was würde Martin Luther sagen, wenn man ihn fragte: Brauchen wir Staatsverträge?

Hätte er die Interessen der Kirche im Blick, würde er sagen, es muss unbedingt bei den Staatskirchenverträgen bleiben.

Oder würde dieser kleine, auf Unabhängigkeit bedachte und institutionskritische Mönch sagen: die Kirchen müssen sich von der kritisch-freundlichen, finanziell irgendwie abhängigen Nähe zum Staat lösen. Lieber arm und unabhängig als reich und abhängig?

Wir wissen es nicht.

Aber ich will die Frage an uns so stellen:

Kann es bei der jetzigen Lage auf Dauer bleiben, wenn nach und nach immer mehr Menschen unsere Kirchen verlassen?

Sind dann die Staatskirchenverträge eine Rest-Versicherung für die Institution der verfassten Kirche?

Oder werden sie sogar zur anklagenden Berufungsgrundlage der mehrheitlich nicht mehr christlichen Gesellschaft gegen die Kirchen? Werden sie dann zum Klotz am Bein?

Wird die Kirchensteuer zum Austrittsbeschleuniger?

Aber andererseits:

Wenn die Verträge wegfallen, wie geht dann das Leben der verfassten Kirchen weiter?

Das sind schwierige Fragen, die ans Eingemachte gehen.

In der Lage, in der wir sind, gibt es zwei strategische Möglichkeiten:

 

Die eine nenne ich mal eine Abwarte- oder Aussitz- oder Wird-schon-nicht-so schlimm-kommen-Variante.

Wenn alles so bleibt, wie es ist, schrumpfen wir so vor uns hin, halten an dem komfortablen rechtlichen Gerüst fest und hoffen auf bessere Zeiten.

Das, liebe Schwestern und Brüder ist im Moment die herrschende Auffassung oder besser Mentalität.

 

Das andere nenne ich mal eine proaktive Gegenstrategie.

Dann müssten sich die Kirchen - zunächst einmal intern - darüber beraten, welche Alternative sich bietet.

Gibt es andere Modelle der Finanzierung, die vielleicht auf den ersten Blick weniger Geld, aber auf Dauer mehr Sicherheit biete, zu mehr Akzeptanz, zu weniger Kirchenaustritten und zu mehr gemeindlichen Aktivitäten führen?

Ich nenne dazu nur die Stichworte: Selbsteinschätzung der Höhe der Kirchensteuer – ähnlich wie beim Kirchgeld -, Zweckbindung der Kirchensteuer für einen vom Steuerzahler festgelegten Zweck, Reduzierung der Steuersätze, gestaffelte Steuersätze für kinderreiche Familien? Usw., usw.

Es gibt auch Mischformen:

Warum kümmern wir uns so wenig um diejenigen, die aus der Kirche ausgetreten sind? Aus den Augen, aus dem Sinn, so verhalten wir uns im Moment.

Wenn ich dagegen irgendein Abo kündige, werde ich bestürmt, mir das nochmal anders zu überlegen.

Tun wir das auch?

Gibt es andere Formen der Beteiligung an und in Kirchen als nur die Mitgliedschaft?

Wo sind unsere Angebote für die Suchenden, die nicht gleich mit der vollen liturgischen Dröhnung daherkommen?

Setzen wir in unserer Sprache schon so viel Wissen voraus, dass der Abstand zu denjenigen, die gar nicht kirchenkritisch, aber ahnungslos sind, nicht so groß ist?

Setzen wir zu viel auf die Profis in Talar und mit Ausbildung? Oder können wir uns mehr Ehrenamt zutrauen?

 

Liebe Schwestern und Brüder,

Sie merken, ich bin gegen das klagende Abwarten als Antwort auf die Kirchenaustritte.

Ja, halten wir gerne an den Staatskirchenverträgen fest. Aber das sollten wir nicht nicht als Ruhekissen nutzen, sondern als Ansporn und als Verpflichtung.

Kümmern wir uns nicht so viel um uns selbst, sondern um die Menschen.

Strahlen wir nicht das Jammertal der Schrumpfung aus, sondern den Geist der frohen Botschaft.

Stellen wir uns mitten ins Leben von Krieg und Frieden, Klima und Energie, Demokratie und Bewährung, nicht durch den dogmatischen Zeigefinger, sondern durch Zuversicht ausstrahlendes und beherztes Tun.

Ich weiß, das Alles ist leicht gesagt und schwer gemacht.

Aber ich will hier von einer „Haltung der Zukunft gegenüber“ sprechen und damit enden:

Staatskirchenverträge sind ein gutes Gerüst, ein starkes Gerippe. Aber sie haben keine Muskeln und kein Herz.

Es liegt an uns, was wir daraus machen.

Und da wäre Luther vermutlich auf jeden Fall dabei!

 

Es gilt das gesprochene Wort!

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