Dialogpredigt mit Kristin Jahn

Predigtreihe

Hoffnungszeichen. Im August predigte Generalssekretärin Kristin Jahn gemeinsam mit Pastor Friedemann Maggard im Rahmen ihrer Sommerpredigtreihe in Husum. "Mund aufmachen. Mutig, stark, beherzt". Ein Dialog ganz im Zeichen des Kirchentages und ein Mutmacher in bewegten Zeiten.

Friedemann: Friede mit euch, Schalom, Salam! 
Friede sei mit dir, Kristin!  

Du bringst uns die Luft vom Deutschen Evangelischen Kirchentag nach Husum, und muss davon erzählen. Das Motiv für das Fest 2025 in Hannover ist ein großer Mund. Ich finde das witzig. Pop-Art. Gleich kommt Mick Jagger von den Stones. Aber auch schräg. Popart eben. Ihr klebt diesen Mund auf Gesichter von Menschen, ohne Popart. Irritierend. Warum? Was macht ihr da? 

Kristin:
Am Anfang habe ich auch gedacht: Was soll das!? Bilder von Menschen wie Du und ich, denen ist der Mund zugeklebt mit so einer Art RollingStone-Symbol und das in einer Zeit, wo so viele Leute sagen, man dürfe dies und jenes ja gar nicht mehr sagen – und dann dachte ich: was für ein geniales Motiv.  

Es lenkt meinen Blick auf den Mund. Da kommen Wörter raus und mit Wörtern fängt im Leben alles an. Das Schönste und leider auch das Schlimmste.  

Welche Worte sage ich? Wann, wie und warum? Wörter verbinden uns, bauen Brücken - auch mitten im Krieg, aber Wörter, unbedacht dahingesagt verletzen auch, und reißen Wunden.  

Auf den Mund kommt es an und auf das, was ich sage. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Am Anfang war Stille und dann ein Wort, es werde. Gott hat den Rahmen gemacht – wie fülle ich ihn? Ich glaube an einen Gott, der im rechten Moment das Gute sucht und sagt. 

Friedemann:
Dann gehen wir doch solchen Worten einmal nach. Drei Worte bilden das Motto vom Kirchentag in Hannover: Mutig. Stark. Beherzt. 
 

Kristin:
Mutig- Greiz – Sommerfest der AfD. Höcke spricht auf der Bühne und eine Frau steht in der Menge: Sie hält ein Plakat hoch, da steht drauf: Oma gegen Rechts. Nie wieder Faschismus. Sie wird angegangen von den Besuchern, aber sie bleibt dort stehen. Ihr Plakat ist von keiner Partei oder Organisation. Es ist handgeschrieben, blaue Schrift auf weißem Grund: das ist mutig. Sich zu den Gegnern stellen und ihnen meine Meinung hinhalten, eine Möglichkeit, ein stiller Protest.  

 Viele meiner Freunde und Bekannten in Thüringen leben in Dörfern. Die AfD hat auf dem platten Land dort hohe Zustimmung, viele haben sie schon vor vier Jahren gewählt. Mit manchen arbeitest du, mit manchen wohnst du Tür an Tür. Es braucht Mut, immer wieder nachzufragen: Wie meinst du das, wenn die Parolen kommen. Es brqucht Mut zu sagen: Du ich sehe das anders.  

Es wäre leichter die Klappe zu halten und die Tür zuzumachen. Aber ich denke dann jedes Mal, wenn ich jetzt die Tür zumache, habe ich für die nächste Stunde vielleicht Frieden. Aber was für ein Frieden soll das sein? Doch nur ein kalter Frieden, der durch Wegschauen und Rückzug entsteht. Je länger wir schweigen werden, desto schwieriger wird es werden.  Desto mehr Mut werden wir brauchen, ins Gespräch zu gehen.  

 Mut findet auch im Stillen statt, indem du dich selbst ermutigst und dich nicht zufrieden gibst mit einem billigen Frieden oder gar mit einem Schweigen zu Ängsten und Parolen. 

Friedemann:
Ein kalter Frieden, frostig, das kann es nicht sein. Stummer Frieden. Das ist kein Frieden. Daraus wächst kein Segen. 
 

Früher sagten Eltern den Kindern: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Das war eine andere Zeit. Kinder sollten still sitzen und still sein. Untertanen sollten still sein. Christenmenschen still sein. Das sehen wir heute anders, GottseiDank!   

Vielleicht spricht aus dieser merkwürdigen Pädagogik aber auch ein Funken Lebensklugheit, weil es daran erinnert, wie leicht Worte etwas kaputt machen können. Unbedachte Worte, gar nicht so gemeint. Und manchmal genau so gemeint, gemeine Worte, die vernichten können wie Waffen. Denkt daran, wie es etwa im Netz abgeht: Wie Leute da pöbeln, hemmungslos. Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – ich übersetze das mal für mich: zumindest erstmal ein bisschen schweigen, ehe du redest, mit Bedacht…?  

Aber das, wovon du sprichst, Kristin, ist anders. Wenn Worte lügen und hassen, dann ist es feige, zu schweigen. Ich muss den Mund aufmachen, wenn Leute ausgegrenzt werden, Frauen, queere Leute, Menschen mit Handicap, mit ausländischen Wurzeln, Ostdeutsche, Westdeutsche: Wenn es pauschal wird und damit falsch und grob, dann ist Schweigen feige, dann ist Reden Gold.  

Ich lese das auch in der Bibel. „Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind.“ Mutig ran, das sagt auch Sprüche 31, Vers 8.  

Kristin:
Mutig ran und vor allem: im Gespräch bleiben. Nicht um zuzustimmen, sondern um überhaupt eine Möglichkeit zu haben ihm zu sagen: Du das war und ist anders. Reden ist Gold und im Gespräch bleiben eine Art Diamant. Es setzt meine Hoffnung voraus.  

Wenn ich nicht jeden Tag daran glauben würde, dass sich Menschen noch ändern können, inclusive meiner selbst – ich könnte gar nicht mehr aufstehen. Ich glaube daran, dass kein Mensch fertig ist, so wie er jetzt ist. Ich glaube, dass ich noch längst nicht am Ende bin, auf Besseres angelegt, das gibt mir Kraft. Das gibt mir auch Kraft, zu meinen Fehlern zu stehen. Ich weiß, so muss es nicht bleiben, geschweige denn enden, Mit mir und mit Dir.   

 Stark sein in Gott, in der Hoffnung, die über uns schwebt – das zweite Wort in unserem Kirchentagsmotto. Wenn ich diese Stärke, diesen Glauben nicht hätte, ich könnte nicht leben. Ich könnte in Thüringen nicht mehr leben, vielleicht auch nicht mehr in diesem Land. ich könnte nicht im Gespräch bleiben mit meinen Nachbarn, die Parolen daherreden. Mit Schulfreunden, die AfD wählen. Mit Verwandten, die sagen: “die da oben”.  

 Ich finde es schön, dass am Ende des Korintherbriefes Paulus den Himmel so weit aufreißt und sagt: bleibt stark in Gott, wagt es auf Gott zu vertrauen, auf den, der uns liebt und erneuert.  Der uns Umkehr ermöglicht und erlaubt.  

Es ist nicht meine eigene Kraft, die gefragt ist, aber stark im Glauben an Gott sein, an das Mögliche glauben, an Verbesserung - das bestärkt mich jeden Tag.  

Friedemann:
Starke Worte, Kristin, und wie du von der Möglichkeit der Veränderung sprichst, das tut gut.  

Mir ist das wichtig, gerade heute: Der Lauf der Welt ist kein vorherbestimmtes Schicksal. Das wäre doch schrecklich. Deshalb müssen wir uns reinwerfen in den Lauf der Dinge, das ist vielleicht anstrengend, aber egal: Unser Kleines tun, damit es besser wird, und wenn ich nur bei mir selbst anfange: Gut so. 

Der Lauf der Welt kann einen gerade bange machen. Um so wichtiger sind da Hoffnungsbilder, Hoffnungsaktionen. 

Ein Sprichwort sagt: „Wenn es glatt wird, muss man sich unterhaken“. Es wird glatt in Deutschland. Du hast davon gesprochen. Und das gilt nicht nur für Thüringen, sondern für überall. Demokratie ist kein Naturgesetz. Rechtsstaatlichkeit und Freiheit wollen verteidigt werden, müssen! Wir planen dazu in dieser Stadt eine Aktion, die finde ich stark. Wir erinnern daran, dass vor 80 Jahren KZ-Häftlinge in einem Dorf bei Husum gelebt haben und Tag für Tag zum Arbeitseinsatz durch diese Stadt getrieben wurden. Alles haben es gesehen. Keiner hat den Mund aufgemacht. Aus Angst, oder weil sie es gar nicht so falsch fanden. Und hinterher tat man sich schwer. 40 Jahre Schweigen. Jetzt, zum 80jährigen Gedenken, gehen wir den Weg der Häftlinge, 13 Wochen lang – so lang war das KZ in Betrieb. 13 Wochen jeden Samstag, vom ehemaligen Lagergelände bis durch die Stadt. Wir haken uns unter, zusammen mit vielen aus der Stadt, erinnern, mahnen, trauern – und machen uns stark. Ein Kraftfeld der Liebe und der Freiheit. Sichtbar, hörbar, untergehakt. Ich denke, auch Gott hakt sich mit unter. „Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen“, sagt Jesus, „ihnen gehört das Himmelreich.“  

 „Beherzt“, das dritte Stichwort. Ich mag, dass im Wort „beherzt“ das Wort „Herz“ versteckt ist. Wenn das Herz nicht dabei ist, dann wird es nichts.  

Worüber wir heute sprechen, übersteigt das, was wir mit dem Verstand greifen können. Hoffnungsbilder sind aus anderem Stoff gesponnen. Wenn die großen Analysten die Gleichungen dieser Welt berechnen wollen, und oft wird es dann arg düster. Die Nachrichten von heute früh: Der Horror von Solingen, mit der furchtbaren Gewalttat und der Angst und der Ohnmacht. Und was wir von Israel und Libanon hören: Neue Gewalt, neue Eskalation… Wenn die großen Analysten ihre Gleichung der Welt aufstellen, dann vergessen sie etwas, was wir Christenmenschen eintragen: Gott ist die große Unbekannte. Gottes Geist kann die Herzen von Menschen berühren, und Gott tut das, und alles wird anders. Wunder geschehen. Sie sind nicht auszurechnen, sonst wären sie ja keine Wunder. Dass die Mauer fiel: Keiner hat es kommen sehen. Dass kein Blut floss, als Recht und Freiheit um sich griffen. Ein Wunder. Gott hat Herzen bewegt und macht es immer wieder. In Südafrika, als der Rassenwahn endete. So beten wir auch für Palästina und Israel. Für ein Wunder der Versöhnung. Und die Ukraine. Der Krieg dort ist doch nicht vorbei, wenn die Waffen schweigen, sondern wenn ukrainische Familien und russische Familien um einen Tisch sitzen und gemeinsam feiern. Sie haben es schon getan. Sie werden es wieder tun. Gott Wunder wirken in den Herzen der Menschen.  

Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht, das ist Lio‘ Taufvers. Gott lässt uns alle nicht fallen, Gott ist und bleibt bei uns. Das ist mein Hoffnungsbild. 

Aber darauf kleine Brötchen zu backen, das ist nicht einfach. Wie geht das im Alltag: Beherzt beieinander zu bleiben, wenn es schwer ist? 

Kristin:
Beherzt sein, einander zugewandt sein und bleiben. Ich finde, das ist das Schwerste. Immer wieder zu trennen zwischen Sache und Person, zwischen Parole und dem, der die Parole sagt. Dem Menschen zugewandt bleiben und zugleich klar in der Sache zu sagen: Du, das sehe ich anders. Das ist das Schwerste. Den es setzt voraus, dass ich mich über meinen Nächsten nicht erhebe, egal, welche krude Sachen er sagt. Ihm die Würde lasse und dennoch klar sage: Was du sagst – so mit mir nicht.  

Ich habe vor Jahren mal einen alten Bekannten in meinem Heimatdorf wiedergetroffen. Günther. Der kam auf mich zu und sagte mir, Du mit deiner Kirche. Ihr mit eurer Nächstenliebe, gebt euch mit allen ab, lasst die Flüchtlinge rein, ihr werdet schon noch sehen, was ihr davon habt. Die kommen und nehmen uns alles weg und ich so zu ihm: Günther, wer hat dir denn wann was weggenommen, da war der baff.  

Das ging dann noch eine Weile so hin und her.  

Und am Ende sagte Günther wieder: du mit deiner Nächstenliebe.  

Hm, sagte ich. Wenn ich nicht an einen Gott der Nächstenliebe glauben würde, würde ich vielleicht gar nicht mehr hierstehen und mit dir reden. Da hat Günther dann doch mal kurz gelacht.  

Beherzt, einander zugewandt bleiben, gerade dann, wenn es hanebüchen wird und so manche Äußerung auch erst mal weh tut.  

Mich nicht über meinen Nächsten erheben. Denn ich bin nicht Gott.
 Ausgrenzen ist für mich auch keine Lösung, wo Abgrenzung in der Sache geboten ist. Schweigen ist Silber, Reden ist Gold. Im Gespräch bleiben ist der Diamant. Gerade dann, wenn es haarig wird.  

 Und ich finde, ich  habe auch kein Recht über meinen Nächsten zu urteilen, das hat nur Gott. Ich habe aber die Freiheit in der Liebe zu bleiben, zugewandt zu bleiben, dem der anderer Meinung ist und ihm klar zu sagen: das sehe ich anders.  

Denn wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was tut ihr Besonderes? Wer den Mund nicht aufmacht, verliert die Liebe. Die Liebe zu sich selbst, zum Leben, zum anderen.   

 Ich glaube, dass es zur Liebe nun mal keine Alternative gibt. Und Liebe heißt, ich bleib im Gespräch, mit Dir und mit Gott.  

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